Wilhering

III/P/39

Österreich, Oberösterreich
Zisterzienserstift, Hauptorgel

© Bilder Orgelbau Kuhn AG, Männedorf/Schweiz

Orgelbau Kuhn AG, 2018

Restaurierung

Orgel erbaut von
Leopold Breinbauer, 1884
Windladen
Kegelladen
Traktur
mechanisch
Registratur
mechanisch
Einweihung
20.05.2018
Intonation
Gunter Böhme

Die Hauptorgel an der Westempore der Stiftskirche Wilhering

Nach der Brandkatastrophe von 1733 und der Zerstörung eines Großteils des gesamten Zisterzienserklosters erfolgte der Neubau der bis heute erhaltenen, weltberühmten Stiftskirche. Die architektonische Einheitlichkeit des prächtigen Rokoko-Kirchenraumes mit der gestalterischen Einbindung der Orgelgehäuse von Haupt- und Chororgel ist an Fülle und Farbigkeit kaum mehr zu übertreffen.

Die spätbarocke Hauptorgel, deren Prospekt bis heute erhalten ist, wurde in den frühen 40er-Jahren des 18. Jahrhunderts zur Regierungszeit des Abtes Johann Baptist IV. Hinterhölzl OCist errichtet. Die neuesten Befunde im Zuge der gegenwärtigen Restaurierung deuten auf den Passauer Meister Johann Ignaz Egedacher (1675-1744) als Erbauer dieses Instrumentes hin. Nach einer späteren Beschreibung des Orgelbauers Matthäus Höfer aus dem Jahr 1844 enthielt diese Orgel insgesamt bereits 26 Register, verteilt auf das Haupt- und Pedalwerk sowie ein Brüstungspositiv. Höfer führte nachweislich mehrere Reparaturen an dem Instrument durch. Unter den zahlreichen Stiftsorganisten im 18. Jahrhundert sind Simon Anton Weiss und Franz Xaver Weinwurm zu nennen, im 19. Jahrhundert der bekannte Kirchenkomponist Matthias Pernsteiner, Adolf Festl und Matthäus Obermüller. Anton Bruckner spielte an beiden Orgeln anlässlich mehrmaliger Aufenthalte im Stift Wilhering, wie in Berichten früherer Patres und ehemaliger Sängerknaben überliefert wurde.

Abt Alois Dorfer OCist beauftragte 1883 den jungen Orgelbauer Leopold Breinbauer (1859-1920) aus dem benachbarten Ottensheim mit der Errichtung einer neuen, groß dimensionierten Hauptorgel. Diese hätte zur Feier des 50jährigen Priesterjubiläums des Abtes im August 1884 fertiggestellt werden sollen, was sich jedoch um einige Monate verzögerte. Das feierliche Eröffnungskonzert mit dem Linzer Domorganisten Karl Waldeck und dem Wilheringer Stiftsorganisten Franz Pressl fand schließlich am 11. Dezember 1884 statt. Karl Waldeck steuerte eine eigene Komposition für zwei Orgeln bei. Zusammen mit dem Linzer Musiklehrer Friedrich Arnleitner hatte Waldeck maßgeblich zur künstlerischen Konzeption der vielgelobten neuen Orgel in der Stiftskirche Wilhering beigetragen. Unter den Besuchern des Eröffnungskonzertes befand sich Prinz Ferdinand I. von Sachsen-Coburg, der spätere Zar von Bulgarien, der eine besondere Affinität zum modernen Orgelbau besaß.

Als erstes großes Werk Breinbauers besaß die Orgel 30 Register, verteilt auf ein Haupt- und ein Unterwerk sowie das Pedalwerk. Dem Orgelbau der damaligen Zeit entsprechend verwendete Breinbauer bereits das System der mechanischen Kegellade. Mit der Bedingung, das neue Instrument in das vergleichsweise kleine ursprüngliche Orgelgehäuse einzupassen, war Breinbauer vor eine besondere Herausforderung gestellt. Deshalb konstruierte er eine neue Etage über dem eigentlichen Hauptwerk, auf der einige Register aus den höheren Tonlagen angebracht wurden. Dementsprechend komplex gestaltete sich die mechanische Ansteuerung dieser Register mittels mehrfacher Abzweigungen in der Traktur. Das Brüstungspositiv der früheren Orgel blieb hingegen nur optisch als Prospekt erhalten und besaß keine klingenden Register mehr. Ein besonderes Novum boten fünf Kollektiv-Registerzüge, deren Antrieb über zusätzliche Bälge erfolgte.

Da Leopold Breinbauer die klangliche Qualität der ursprünglichen Orgel überaus schätzte, benutzte er besonders im Pedalwerk etliche Register weiter und intonierte diese nach seinen eigenen klanglichen Vorstellungen. In seiner künstlerischen Konzeption schien er auch das Vorbild der Chororgel zu berücksichtigen, indem er die relativ hohe Stimmtonhöhe von dieser übernahm. Obwohl beide Orgeln völlig unterschiedlichen Stilrichtungen entstammen, interpretierte Breinbauer sie im Sinne einer ideellen Einheit, in ihrer jeweiligen Eigenart optimal angepasst an den Raum der Stiftskirche Wilhering mit ihrer enormen akustischen Raumwirkung.

An der neuen Orgel wirkten im 20. Jahrhundert unter anderen Karl Orel, der später nach Kremsmünster und zuletzt als Domorganist nach Brünn wechselte, Johann Kirchschläger, der Vater des österreichischen Bundespräsidenten, der begabte Konzertorganist und spätere Mozarteumslehrer Otto Rippl, die Komponisten Julius Webinger und Franz Gruber, zugleich Präfekt am Stiftsgymnasium, sowie nach dem Zweiten Weltkrieg der bekannte Komponist P. Balduin Sulzer OCist und der Linzer Konservatoriumslehrer Johann Winterberger.

In den Jahren 1976 bis 1981 erfolgten ein teilweiser Umbau und eine Erweiterung der Orgel durch die Oberösterreichische Orgelbauanstalt. Im Stil der Zeit waren diese Eingriffe von einer neobarocken Klangvorstellung beeinflusst. Um das Brüstungspositiv wieder zum Klingen zu bringen, wurde der Spieltisch versetzt und um ein drittes Manual ergänzt. Diese Maßnahme erforderte damals die Entfernung der Kollektiv-Züge und eine Überarbeitung der bestehenden Klaviaturen. Zusätzlich wurden sieben Breinbauer-Register komplett ersetzt. Etliche weitere Register wurden ebenfalls klanglich umintoniert, um ein möglichst barock wirkendes Klangbild zu erzielen. Als Stiftsorganisten wirkten der Konservatoriumslehrer Johann Wilfried Hübl seit 1981 sowie Ikarus Kaiser seit 2001 bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt.

Da die Mechanik der Orgel bereits stark störungsanfällig geworden war, wurde das Orgelbauunternehmen Kuhn AG nach der im Jahr 2016 abgeschlossenen, erfolgreichen Renovierung der Chororgel auch mit der grundlegenden Restaurierung der Hauptorgel beauftragt. Hinsichtlich des originalen Breinbauer-Bestands sah das Konzept eine weitgehende Rückführung in den ursprünglichen Zustand von 1884 vor. Dazu mussten die Register Flauto dolce 8' im Hauptwerk, Filomele 8', Dolcissimo 8' und Mixtur 4-fach im Unterwerk sowie im Pedal eine Bombarde 16' mit durchschlagenden Zungen auf Basis bekannter Mensuren, nach Vorbildern anderer Breinbauer-Orgeln in Oberösterreich und Südböhmen sowie in einzelnen Fällen mittels zufällig überlieferter Fundstücke im Chorboden und im Oratorium der Stiftskirche rekonstruiert werden. Das Register Geigenprincipal 8' konnte aus dem eingelagerten Pfeifenbestand einer abgetragenen Breinbauer-Orgel im Mühlviertel ergänzt werden. Die Register Cornett 4-fach sowie Mixtur 5-fach im Hauptwerk mussten ebenfalls originalgetreu wiederbesetzt werden. Letzteres Register wurde wie auch das Register Gemshorn 8' vom Unterwerk entfernt und wieder am ursprünglichen Ort im Hauptwerk angebracht. Eine besondere Herausforderung war die Überarbeitung der komplexen Mechanik und der erneute Anschluss der Kollektive. Die Register des Brüstungspositives wurden sanfter intoniert und, soweit möglich, an das romantische Klangbild der Orgel herangeführt. Zur Stärkung der klanglichen 8'-Basis wurde die nach der Erweiterung nochmals veränderte Quintade 4' wieder als 8'-Register konstruiert und das klangschöne, aber nicht zum Breinbauer-Bestand gehörende Register Oboe 8' aus dem Unterwerk in das Brüstungspositiv versetzt. In diesem Sinn wurde auch das Register Trompete 8' aus dem Hauptwerk auf zwei eigenen Windladen im Turmbogen außerhalb des historischen Orgelgehäuses mit dezenten eigenen Fassungen angebracht. Die bunte Gestaltung der Registerschilder erfolgte nach historischen Vorbildern anderer, noch bestehender Breinbauer-Orgeln.

Mit der nun erfolgten Restaurierung soll ein wesentlicher Schritt zur langfristigen Erhaltung dieses ersten bedeutenden Orgelwerks von Leopold Breinbauer gesetzt werden. Dem Konvent des Stiftes Wilhering, allen voran Abt Reinhold Dessl sowie P. Prior Johannes Mülleder, zugleich Hauptökonom des Stiftes, sei dafür aufrichtig gedankt.

Ikarus Kaiser 2018