Orgelbau Kuhn AG, 2023
Neue Orgel
www.orgelbau.ch/op=114810
II/P/12
Deutschland, Baden-Württemberg
Kath. Kirche St. Vitus Wettelbrunn
«Kunst der Beschränkung»
Die Orgel in der Barockkirche St. Vitus im malerischen Weinort Wettelbrunn wurde ursprünglich von Franz Xaver Bernauer im Jahre 1808 erbaut (I/P/11). 1922 erfolgte durch X. Mönch Söhne, Überlingen, ein Orgelneubau mit 11 Registern auf pneumatischen Kegel- bzw. Taschenladen im alten Bernauer-Gehäuse. 1968 wurde bei einem Umbau von Franz Winterhalter, Oberharmersbach, neben klanglichen Veränderungen u.a. der pneumatische Spieltisch auf der rechten Gehäuseseite platziert.
Massiver Wurmbefall hatte in den vergangenen Jahrzehnten den Windladen, Relaisstationen und Holzpfeifen so stark zugesetzt, dass diese Orgel abgängig war.
Unter Berücksichtigung des historischen Gehäuses haben wir nun ein rein mechanisches, zweimanualiges Instrument erbaut, dessen Grösse und Klangidee mit den vorhandenen Platz- und Raumverhältnissen harmoniert.
In den fünf Prospektfeldern erklingen die Pfeifen d°, e°-h'' des Principal 8 ' des Hauptwerks. Die beiden Manualwerke stehen in C/C#-Teilung auf einer durchschobenen Windlade hinter dem Prospekt. Der gegenüber dem historischen Instrument deutlich vielfältigeren Disposition geschuldet, erhalten die originalen Gehäuseseiten die notwendige Ergänzung in der Tiefe, klar abgesetzt in schlichter Rahmen-Füllung Konstruktion.
Das Pedalwerk steht frei in C/C#-Aufstellung zentral hinter dem geschlossenen Manualgehäuse. Die Holzpfeifen der tiefen Lage des Principalbass 8 ' flankieren als sichtbarer Seitenprospekt die Pedalladen.
Der komplette historische Gehäusebestand mit den geschnitzten Ornamenten und der Doppelfaltenbalg wurden in unserer Werkstatt in Männedorf am Zürichsee sorgfältig restauriert. Die nicht mehr vorhandenen, bzw. veränderten Gehäuseteile wurden originalgetreu nachgebildet.
Die Spielkonsole befindet sich an der historisch vorgegebenen Position in der Mitte des Sockelgehäuses. Die Manualtraktur wurde mit einarmigen Tasten als hängende Traktur realisiert.
Die farblichen Retuschen, die Oberflächenbehandlung des Gehäuses und die Vergoldungen der Ornamente wurden von Restaurator Wolfgang Karle ausgeführt.
Nach der restaurativen Überarbeitung reguliert nun wieder der historische Doppelfaltenmagazinbalg (Mönch 1922) als Zeitzeuge des Vorgänger-Instrumentes den Wind für das neue Werk. Auch die Schöpfanlage wurde in Stand gesetzt, sodass die Orgel alternativ zum Gebläsebetrieb auch mit geschöpftem Wind gespielt werden kann.
Die musikalische Zielsetzung folgte in erster Linie dem liturgischen Gebrauch, wobei auch die Darstellung konzertanter Kirchenmusik des süddeutschen Barock bis in die Frühromantik den klanglichen Ansprüchen gerecht wird.
Die Disposition der neuen Orgel sieht eine klassische, zweimanualige Konzeption im frühromantischen Stil vor. Die Grundstimmen, auf zwei Manuale verteilt, setzen sich aus einem warm klingenden Principal 8 ', einem Gedackt 8 ' und einer dezenten Rohrflöte 8 ' zusammen, was eine nahtlose Dynamik von Piano bis hin zum Forte ermöglicht. Die Fugara 4 ' bildet die Brücke zur Klangkrone, einer milden Mixtur in 2 '-Lage. Die Flötenregister in 4 '-, 2 2/3 '- und 2 '-Lage stehen dank Wechselschleifen wahlweise dem ersten oder zweiten Manual zur Verfügung. In Verbindung mit der Terz 1 3/5 ' steht auch ein färbender Sesquialter bzw. ein Cornet décomposé zur Verfügung. Der Basson-Hautbois 8 ' des zweiten Manuals dient gleichermassen als Solostimme wie auch zur klanglichen Einfärbung der Grundregister. Das Klangfundament im Pedal bildet der Subbass 16 '. Der Principalbass 8 ' erweitert die Möglichkeiten im Pedal. Da im historischen Gehäuse die Höhe für offene 8 '-Register nicht ausreicht, wird die grosse Oktave zugleich für den Hauptwerksprincipal genutzt.
Die Vielseitigkeit dieses Klangkonzeptes ermöglicht farbenreiche Registrierungen für liturgische Aufgaben und ebenfalls abwechslungsreiche Möglichkeiten für Trio- und Cantus firmus-Literatur.
Aufgrund der kompakten Platzverhältnisse und der musikalischen Ansprüche war es mit Blick auf die Klangqualität und Klangentfaltung sowie auf die Wartungsfreundlichkeit in diesem Fall besonders wichtig, die «Kunst der Beschränkung» zu üben. Das bedeutet mitnichten Minimalismus, sondern eine wohlüberlegte Auswahl an Möglichkeiten mit Blick auf die zukünftige Funktion des Instruments sowohl im liturgischen als auch im solistischen Bereich.